Deutschland – in bester Verfassung?

politik

Vorab-Veröffentlichung der „Potsdamer Erklärung“

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1945 wurde das Ende Hitler-Deutschlands eingeleitet. Damit war das Ende des größten Vernichtungskrieges der Menschheitsgeschichte besiegelt. Seine grauenvolle Bilanz bestand darin, dass über 50 Millionen Menschen zu Tode kamen, darunter allein 19 Millionen Zivilisten, 6 Millionen Menschen fielen dem Rassenwahn des Faschismus zum Opfer. Mit 20 Millionen Toten hatten die Völker der Sowjetunion den höchsten menschlichen Verlust zu tragen, Polen hatte mit 5,8 Millionen Toten einen hohen Blutzoll zu zahlen.
Unübersehbare Trümmer, Not und Elend, unermessliches Leid hatten die faschistischen Aggressoren den Völkern hinterlassen. Nie zu vor in der Geschichte der Menschheit hatte es so furchtbare Kriegsverbrechen und Verwüstungen, sowie Verluste an Menschenleben gegeben.

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Die Völkerfamilie schaffte sich mit der Gründung der Vereinten Nationen am 26.06.1945 in San Francisco ein völkerrechtliches Regelwerk, heute bekannt als Charta der Vereinten Nationen. Dies stellte den Beginn des neuen Völkerrechts dar.

Auf der Potsdamer Konferenz am 17.07.-02.08.1945 trafen sich die Siegermächte und unterzeichneten ein weitreichendes völkerrechtliches Abkommen. Damit wurde der Weg bereitet, um die in der UNO Charta verankerten Menschenrechte und Grundwerte des Zusammenlebens der Völker als rechtsverbindliche Vereinbarung zu schließen.

Unter dem Grundsatz, Deutschland als politische und wirtschaftliche Einheit zu betrachten und als Ganzes zu behandeln, wurde das Einsetzen gesamtdeutscher zentraler Verwaltungsstellen beschlossen.

Mit dem Potsdamer Abkommen wurden die Pläne der westlichen Alliierten, die Niederlage Deutschlands zu nutzen und es aufzuspalten, durch die Völker durchkreuzt.

Im Abkommen war das Recht auf Selbstbestimmung und auf ein friedliches unabhängiges Bestehen in der europäischen Völkerfamilie verankert. Das Potsdamer Abkommen war damit Garant für eine friedliche Nachkriegspolitik in Zentraleuropa und Deutschland.
Die Alliierten stellten fest, „es ist nicht die Absicht der Alliierten, das deutsche Volk zu vernichten oder zu versklaven. Die Alliierten wollen dem deutschen Volk die Möglichkeit geben, sich darauf vorzubereiten, sein Leben auf demokratischen und friedlichen Grundlage von neuem wieder aufzubauen.“

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Mit der Berliner Deklaration vom 05.06.1945 begannen die Besatzungsmächte, in abgestimmter Vorgehensweise, so auch in Hessen, neben einer typischen Militärverwaltung und einer deutschen Zivilverwaltung die politischen Verhältnisse neu zu ordnen. Mit der Ernennung von Bürgermeistern und Landräten begannen sie neue Strukturen aufzubauen.
Im Oktober 1945 wurde die hessische Regierung vereidigt.
Ihre Verfassung, die durch einen Volksentscheid, bei dem sich 76,4 % für die Verankerung der Grundrechte in der Landesverfassung aussprachen, zustande kam, stellt noch heute mit ihrem Grundwertekatalog ein Vorbild für die verfassungsgebenden Prozesse in Deutschland dar.
Das Land und die Art und Weise der Verfassungsbildung wurde zum Vorbild für das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland.

Unter dem Artikel 41 der Hessischen Verfassung, der als Sozialisierungsartikel bekannt wurde, ist die Sozialisierung der Bereiche Bergbau, Eisen, Stahl- und Verkehr geregelt.
Zentrales Thema der Verfassung war die Würde der Persönlichkeit des Menschen, auch in der Ökonomie. Der 8-Stundentag, ein 12 tägiger Urlaub, das Streikrecht, sowie ein einheitliches Arbeitsrecht für die Arbeiter, Angestellten und Beamten waren programmiert. Die Aussperrung war untersagt.
Die hessische Verfassung spiegelte in weiten Teilen die wirtschaftliche und politische Umbruchsituation der unmittelbaren Nachkriegsmonate wieder.
Somit stellte die neue Verfassung einen konsequenten Bruch mit dem Nationalsozialismus dar. Die sozialen Komponenten der Verfassung gingen viel weiter als in den später verabschiedeten Landesverfassungen der anderen Länder.

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Mit der Ende 1947 entstandenen Bewegung des Deutschen Volkskongresses, dies mit dem Ziel, einen einheitlich demokratischen deutschen Staat auf der Grundlage des Potsdamer Abkommens zu schaffen, wurde eine gesamtdeutsche Bewegung auf den Weg gebracht.
In der Londoner Empfehlung vom Juli 1948 kündigten die Westmächte bereits die Bildung eines separaten westdeutschen Staates an. Im gleichen Monat wurde ohne Rücksicht auf die völkerrechtlich verbindlichen Potsdamer Verträge in den Zonen Westdeutschlands eine separate Währungsreform durchgeführt. Dies führte zur Spaltung Deutschlands in zwei Währungsgebiete.

Im September 1948 trafen sich in Bonn Delegierte der Länderparlamente, um
einen parlamentarischen Rat zu konstituieren.
Dieser beschloss 1949 das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland. Ein demokratischer Willensbildungsprozess wie in Hessen fand nicht statt. Die Spaltung Deutschlands war zugleich der Beginn des kalten Krieges.

Nur die demokratische Linke hielt an einer Wiedervereinigung fest. Ihr Ziel war es, den Bestand und die Perspektive eines wiedervereinigten Deutschlands als wesentlichen Faktor für den Frieden in Europa und in der Welt zu ermöglichen.
Am 08.05.1949 kam es zur Schlussabstimmung über das Grundgesetz, das
durch den parlamentarischen Rat angenommen wurde. Damals erklärte die KPD: „Sie…haben diesem Grundgesetz, mit dem die Spaltung Deutschlands festgelegt ist zugestimmt. Es wird jedoch der Tag kommen, da die Kommunisten dieses Grundgesetz gegen die verteidigen werden, die es angenommen haben.“
Bis zur Auflösung der KPD 1971 in Westdeutschland war die Wiedervereinigung das erklärte Ziel der Linken.

Am 07.10.1949 trat in Berlin der Deutsche Volksrat zu seiner 9. Tagung zusammen. Nach der Spaltung Deutschlands durch die Bildung der Bundesrepublik Deutschland folgte die Gründung der Deutschen Demokratischen Republik. Die 330 Abgeordneten des konstituierenden Volksrates setzten die Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik in Kraft. Vorangegangen war eine monatelange Diskussion mit großen Teilen der Bevölkerung.
Die Verfassung verankerte die historischen Errungenschaften der antifaschistischen demokratischen Umwälzung.

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Die Spaltung Deutschlands, und damit einhergehend die sehr unterschiedlichen Entwicklungen der verfassungsetzenden Prozesse in beiden deutschen Staaten führten zu zwei souverän handelnden und in der Völkerfamilie anerkannten Staaten.

Erst mit dem 03.10.1990 war ein Ende der Zweistaatlichkeit durch den Beitritt der ostdeutschen Länder zur Bundesrepublik Deutschland vollzogen. Eine souveräne Volksentscheidung fand wiederum nicht statt. Ein höhst umstrittenes Vertragswerk mit schwerwiegenden Konstruktionsfehlern wirkt bis heute in Ost- und Westdeutschland nach.
Die Folgen waren für die Menschen in beiden Staaten mit Arbeitslosigkeit, Abwanderung und der Vernichtung von Volksvermögen verbunden.
Verfassungsmäßig gesicherte Grundrechte, wie die Gleichstellung der Menschen vor der Verfassung wurden durch die Trennung von Ost und West vor allem auch bei der Entwicklung der Löhne und Renten vernachlässigt.
Dieser Vertrag zur Einigung beider deutschen Staaten war nicht von zwei souveränen Völkerrechtsobjekten in freiwilliger Selbstbestimmung vereinbart worden. Durch die „Zwei Plus Vier – Verhandlungen“ nahmen die Alliierten und Teilnehmer des Potsdamer Abkommen mit ihren nationalen Interessen Einfluss auf das wiederentstandene Gesamtdeutschland.

Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland ist trotz seiner ständigen Veränderung und Nivellierung ein modernes und tragfähiges Vertragswerk, welches allerdings auch in wesentlichen Teilen, so zum Beispiel bei der durchsetzbaren Fixierung der Grundrechte, so zum Beispiel das Rechtes auf Arbeit und des Rechtes auf politischen Streik einer entsprechenden Ergänzung bzw. Änderung bedarf.

Eine Verfassung für die Bundesrepublik Deutschland muss auf den Traditionen und Erfahrungen beider Völkerrechtsobjekte entstehen.
Das Volk muss, wie in Hessen 1946, die Möglichkeit haben, souverän über seine Verfassung zu entscheiden.

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Mit der Vereinigung beider deutschen Staaten gab es einen neuen Verfassungsauftrag, der auch die Chance eröffnete, für ganz Deutschland ein einheitliches und fortschrittliches Arbeitsrecht zu kodifizieren. Dies sah auch der Verfassungsentwurf des Runden Tisches vom 04.04.1990 vor, der dies in Abschnitt 2, Artikel 26-33 regelte und den Entwurf zur Volksabstimmung vorschlug.
Gleiches regelte der Einigungsvertrag in Kapitel VIII, Artikel 30 Abs. 1. Hier heißt es: „Es ist Aufgabe des gesamtdeutschen Gesetzgebers, das Arbeitsvertragsrecht….einheitlich neu zu konzipieren.“
Dies ist bis heute nicht geschehen.

Bezüglich des Grundgesetzes heißt das, die im Grundgesetz als Staatsgebot allgemein formulierten Menschenrechte müssen für alle Mitglieder der Gesellschaft als „Recht auf Arbeit“ und „Recht auf soziale Sicherheit“ auch rechtsverbindlich verankert werden. Dazu gehört auch das Recht auf politischen Streik.
Die miteinander untrennbar verbundenen Abwehr- Schutz- und Förderungsaspekte zur Umsetzung der Menschenrechte sind dabei einklagbar zu kodifizieren.

Autoren:
Dr. Steffen Hultsch Michael Reimann
Rechtsanwalt Politologe
Potsdam Königs Wusterhausen

Gesprächskreis Arbeitsrecht der Rosa-Luxemburg-Stiftung
Arbeit und ihre nationalen und europäischen Rahmenbedingungen
Projekt Arbeitsgesetzbuch

LAG Arbeitsgesetzbuch

Potsdam, 23.05.2012

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