Ein Edler unter den Kommunisten

Karl Stenzel

Besonders hat mich seine Bescheidenheit beeindruckt. Vor zehn Jahren lernte ich Karl Stenzel intensiver kennen. Wie er selbst sagte, waren es die Lebensumstände, die ihn Anfang der dreißiger Jahre zu einem jungen Kommunisten werden ließen. Acht Jahre Schule, damals üblich, waren die Bildungsvoraussetzung für ihn und damit die Grundlage für eine Schlosserlehre in Leipzig. Ein politischer Kopf war er schon damals und organisierte sich im Jugendverband der kommunistischen Partei. Nach der Machtergreifung der Faschisten gehörte er zu den Ersten, die gequält wurden. So wurde er 1933 durch die SA in Haft genommen und sagte später dazu: “Da wusste ich, dass ich kein Nazi werden konnte. Wenn  zehn Leute einen kaputtschlagen, gibt es keine Möglichkeit, sich damit auszusöhnen.” So schloss er sich dem antifaschistischen Widerstand an. Einer der Tapferen in einer Gruppe, die für die deutsche Nation standen  und doch so wenige waren.

Das Martyrium hatte damit aber erst seinen Anfang genommen. Fünf Monate im KZ Sachsenburg und 1934 Jahre für sechs Jahre ins Zuchthaus gesperrt, blieb er seinen Grundwerten treu. Es war immer der gleiche Vorwurf: Vorbereitung zum Hochverrat. Die Konsequenz war, dass er 1941 in das Konzentrationslager Sachsenhausen überstellt wurde. Für die deutschen Kommunisten und den Widerstand eine besonders schwierige Zeit: “Das war die Zeit, als die deutschen Truppen kurz vor Moskau standen und man in Berlin voller Siegesgewissheit war. Die schlechte Behandlung von Häftlingen war zu dieser Zeit besonders ausgeprägt.” Besonders das Kümmern um andere Häftlinge, so auch um Häftlinge anderer Glaubensbekenntnisse und Nationen, war Ausdruck für seine Menschlichkeit und seinen Humanismus. „Das hat besonders für die Juden gegolten, die man so lange verprügelte, bis sie tot waren. Ihr Vergehen: Sie hatten sich auf Druck der Nazis von ihren deutschen Frauen getrennt, jedoch wieder den Kontakt zu ihnen gesucht.“ Sein Einsatz für diese Menschen war nur im Stillen möglich, unbemerkt, “Sonst wäre ich vermutlich gleich erschossen worden”, sagte er. Das Erste, was er im KZ zu tun hatte war, für den kleinen Mann mit zerschlagenen  Knochen, täglich die Leichen aus dem sowjetischen Kriegsgefangenenlager zu tragen: “Es hat eine Woche gedauert – dann konnte ich nicht mehr schlafen.”
In Folge quälten sie ihn mit Isolationshaft, Strafkompanie, Essenskürzungen, aber er blieb standhaft. In den letzten Monaten des Krieges war er zusammen mit meinem Vater, Max Reimann, im Konzentrationslager Falkensee, einem Außenlager des KZ Sachsenhausen, inhaftiert. Die Leitung des Internationalen Lagerkomitees, zu der beide gehörten, wagte die Selbstbefreiung. Das Lager wurde den Befreiern, der Roten Armee, übergeben. Damit endeten Jahre der Tyrannei für Beide. In den Folgejahren krempelte auch er die Ärmel hoch und baute tatkräftig mit auf. Im diplomatischen Dienst, unter anderem für die junge DDR in China, tat er alles, was ihm möglich war, für die friedliche Entwicklung seiner Heimat. Besonders sein Kümmern um die Jugend steht im Vordergrund seiner Arbeit nach dem Krieg. 25 Jahre lang wirkte er in der “Lagerarbeitsgemeinschaft Sachsenhausen” aktiv mit.

Stenzel hat niemals Angst vor dem Tod gehabt, sondern eher davor, wie er vielleicht sterben würde: “Man muss in solch einer Situation die Kraft finden, die Angst zu überwinden. Wie er Kraft schöpfte, sich weiterhin einzusetzen, beantwortete er: “Ich selbst habe wenig Probleme, denke aber, dass zu wenig der Kämpfer und fast nur der Opfer gedacht wird. Ich war nicht zu Recht im KZ, aber ich wusste, warum. Ein Jude etwa, konnte das nicht sagen und verstand es deshalb nicht.”

Karl Stenzel wurde auch gefragt, wie er dazu stehe, dass Sachsenhausen ebenfalls noch zu DDR-Zeiten Internierungslager war und dort nachweislich auch Unschuldige einsaßen, die man als Kriegsverbrecher verurteilt hatte.

“Wenn das nachgewiesen ist, halte ich Rehabilitation für eine richtige Sache”, sagte Stenzel. “Aber es haben sich hunderttausende Deutsche schuldig gemacht, und es kann nicht sein, dass alle 17 oder 18 Jahre alt waren, so dass ich sage: Die weitaus meisten waren zu Recht interniert. Zweifellos waren die Haftbedingungen schwer, aber wer sich vor Augen führte, was die Deutschen, besonders in Russland, angerichtet hatten, wusste, dass keine besondere Freundlichkeit zu erwarten war.” Am 20. November 2012 vollendete sich das kämpferische, bescheidene und im edelsten Sinne des Wortes kommunistische Leben dieses aufrechten Menschen. Bis zuletzt war der Kampf gegen Rechtsextremismus und Faschismus sein wichtigstes Anliegen.

Michael Reimann

 

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