
25.07.2014
Die Eskalationsspirale hat eine neue Wendung erfahren. Die USA haben in der Ukraine-Krise neue Vorwürfe gegen Russland erhoben! Viele Vorwüfe aus dem Westen bleiben dabei unbewiesen; ebenso, wie auch so manche Tatsachenbehauptung der USA der letzten Jahrzehnte, wenn es um kriegerische Auseinandersetzung ging. Die Rhetorik vor dem Irakkrieg ist da nur ein Beispiel. Der Vorwurf nun lautet, dass es Anzeichen dafür gibt, dass russische Militärs mit Artillerie vom Gebiet des Auslands auf die Ukraineeinheiten feuern.
Das sagt die Sprecherin des amerikanischen Außenministeriums, Marie Harf. Und wieder beruft sich die Administration in Washingtons DC auf den Geheimdienst. Auf einen Geheimdienst, der vorher nichts gewusst hat, der jetzt – wie keine zweite Partei von der Eskalation profitiert und nach dessen Existenzberechtigung nun trotzdem auf einmal kein Mensch mehr zu fragen scheint.
Angesichts der sich zuspitzenden Lage in der Ukraine und den von den USA und der EU verhängten Sanktionen gegen Russland hat sich die Debatte über Sinn und Zweck von restriktive Maßnahmen gegen Personen, bis hin zu einem Wirtschaftsembargo, überdies erneut verstärkt.
Der Zusammenhang von Repressionen gegen Moskau und einer stärkeren Militärpräsenz des NATO Bündnisses an den Ostgrenzen des Bündnisses liegt mittlerweile auf der Hand. In der Züricher Zeitung vom 11. April 2014 wird die Notwendigkeit für die Vorwärtsbewegung der NATO wie folgt kommentiert: “Und man wird nicht umhin kommen, die früher gemachten Aussagen zu prüfen, man sehe keine Notwendigkeit für mehr militärische Kräfte in den neuen NATO-Staaten.“ Die deutsche Außenpolitik spricht bisweilen von weit härteren Sanktionen gegen Russland. Sogar der Ostausschuss der Deutschen Wirtschaft meldet sich zu Wort, sagt, “über weitergehende Maßnahmen“ müsse nachgedacht werden (Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 11. April). Und auch der Außenminister fällt diensteifrig ein in den Chor der Frontler und droht unverhohlen, dass das russische Vorgehen auf der Krim eine “Büchse der Pandora“ für den Vielvölkerstaat Russland sei.
Die Geschichte um den abgestürzten malaysischen Flug MH 17 in der Ost Ukraine wird also weitergeschrieben. Das Vorhaben, möglichst alle Opfer bis heute in die Niederlande auszufliegen, scheint unter dem Druck nun kaum noch möglich. Die altbekannten Zutaten eines Cocktails, der zur Spannung in Krisenherden führt, sind kredenzt. Halbwahrheiten, keine Informationen und die eine oder andere herbeigeführte Eskalation führen zu weiteren Spannungen in der Krisenregion. Leidtragende sind in diesem Fall die Familien in den Niederlanden, denen damit die Möglichkeit geraubt wird, ihre Angehörigen so schnell wie möglich nach Hause zu holen.
Und heute wollen gleichzeitig auch noch die Mitgliedstaaten der Europäischen Union die Ausweitung der Sanktionen gegen Personen und Unternehmen in Russland, wie angekündigt, beschließen.In diesem Zusammenhang nimmt die Debatte um den Sinn, die Wirksamkeit und die Hintergründe der Eskalation dieser Krise neue Fahrt auf. Die britische Tageszeitung “The Independent” äußert sich zu diesem Thema wie folgt: “Sanktionen werden dem so genannten Feind nicht viel anhaben, geben aber denen, die sie verhängen, ein gutes Gefühl.“ Schnell sind diese Sanktionen als harmloser Papiertiger definiert oder als symbolische Geste bezeichnet. Sanktionen treffen immer Unbeteiligte. Und sie verfehlen oft ihren eigentlichen Sinn. Zu einem friedlichen Weg aus der Krise sind sie ein schlechter Wegweiser. Sanktionen verschärfen Konflikte. Und die Geschichte lehrt uns letzten Endes, dass Sanktionen ein wichtiges Instrument zur Kriegsvorbereitung darstellen. Sie manipulieren die öffentliche Meinung und helfen bei der Konstruktion von Feindbildern. Übrigens auf beiden Seiten! Mit ihrer Hilfe werden neue Konstellationen gebildet, Abweichler auf Linie gebracht – Sanktionen legitimieren militärische Hochrüstung, schwächen den Gegner. Berlin verdient überdies an der Aufrüstung.
Als wenn die Ukrainer nicht schon schlimm genug getroffen sind, tritt die Regierung im Scheitelpunkt der Krise auch noch zurück. Der prowestliche Ministerpräsident Arseni Jazenjuk versucht, Neuwahlen am 26. Oktober zu organisieren. Die tief greifenden Veränderungen im Lande, nicht selten als Reformen bezeichnet, können damit in ungeahnte Kanäle expandieren. Völlig ungewiss bleibt, ob die Wahlen überhaupt stattfinden können, da sich das Land in einem tiefen Bürgerkrieg und nicht zuletzt in einem ungerechten Krieg befindet. Da nützt es wenig, dass der scheidende Regierungschef bei seinem Rücktritt auf die verzweifelte Lage in seinem Land hinweist.
Jazenjuk hat nicht zur Befriedigung beigetragen. Letztlich hat er mit den durchgepeitschten Wirtschaftsgesetzen der letzten Tage und Wochen einen weiteren Baustein für die Mauer zwischen den streitenden Parteien hinzugefügt. Die Beteiligung von ausländischen Investoren am Öltransportsystem der Ukrainer wurde so ermöglicht. Sicher ist der Ansatz aus nationaler Sicht gut, dass man das Ukrainische Gastransportsystem unabhängiger von Einflüssen Dritter macht. Bloß: Wer ist der, der die Anteile an dem Unternehmen kauft? Solch eine Regelung entfaltet in jedem Fall Eigendynamik.
Ihr Michael Reimann